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Schlomi

Schafe in Wald und Flur, Erinnerung an Schlomi

Zwischen mir und meinem ersten Partner gab es einmal einen Streit, der eine von mir in unserem Toilettenraum einquartierte Mäusefamilie zum Inhalt hatte. Die Jungtiere waren dort zur Handaufzucht in einem Terrarium untergebracht. Eines Tages schafften sie es, zu entwischen und es erwies sich als unmöglich, sie ohne größere Umbaumaßnahmen aus ihren neuen Verstecken heraus zu bekommen. Meine Idee war, die gesamte Einstreu heraus zu nehmen, nur Futter auf dem Terrarienboden auszulegen und darauf zu hoffen, dass die Tiere über die Regalbretter zwar hinein gelangen, aber vom tiefen Boden zwischen glatten Glaswänden aus nicht mehr heraus.

Ich glaube, das hat sogar geklappt, genau kann ich mich nicht mehr erinnern. Jedenfalls entsorgte ich die Einstreu unprofessionell in der Toilette. Dass dadurch eine Verstopfung im Abfluss entstand, bemerkte aber erst mein Partner im Verlauf seiner morgendlichen Aktivitäten. Und das auch wiederum zu spät. Die Komplikationen, die sich dadurch ergaben, jagten seinen Blutdruck wohl in erheblichem Maße hoch. Ich war allerdings schon außer Haus. Später versuchte er in der Arbeit, seinen Kollegen sein Leid mit mir und meinen Machenschaften zu klagen und seinem Unmut darüber Luft zu machen. Das misslang scheinbar, denn im späteren Streit warf er mir unter anderem vor, er habe mittlerweile Probleme damit, anderen Leuten überhaupt zu erklären, was genau ich eigentlich immer so treibe.

Mein späterer Ehemann hatte ähnliche Probleme damit, seinem Freundeskreis zu erläutern, was genau er mit: “Wir haben jetzt auch Kühe...“ meint. Er ertrug dies allerdings immerhin mit einem Schmunzeln.
Daran erinnerte ich mich, als ich Schlomi, das Schaf ausmistete. Da Schlomi nicht nur sehr alt, sondern auch sehr krank war bei der Rettung vor ihrer dennoch geplanten Schlachtung (manche Metzger sind sich nicht darüber im Klaren, dass man einfach nicht alles essen kann…), zog sie zunächst in meinen Hausflur ein. Der hintere Bereich hat einen ausreichend großen Erker, den ich für sie mit einer Plane und Strohpellets auslegen konnte. So war sie unter Beobachtung, konnte die zahlreichen Medikamente gegen ihre Lungenentzündung problemlos verabreicht bekommen und sehr viel fürsorglicher gefüttert werden. Abgemagert und zahnlos wie sie war, hatte sie diese Intensivpflege auch bitter nötig. Außerdem verhinderte diese Unterbringung eine Ansteckung der anderen kleinen Wiederkäuer im Stall.
Es gab im Vorfeld natürlich Bedenken zum Ablauf unseres geplanten Zusammenlebens, zum Beispiel, ob sie zu große Sehnsucht nach Artgenossen oder Angst vor den anwesenden Hunden oder ungewohnten Dingen im Haushalt haben würde. Unklar war auch, ob sie sich im Ernstfall von der wackligen Absperrung zurückhalten lassen oder sonstige Neigungen zum Randalieren zeigen würde.

Wie sich zeigte, war Schlomi in ihrer Hinfälligkeit sehr zufrieden mit den neuen Umständen. Sie musste sich jetzt nicht mehr gegen andere Schafe durchsetzen und hatte eine sichere und komfortable Theaterloge, von der aus sie alles beobachten konnte. Das Husten und Rotzeln blieb zwar weiterhin ihr Problem, aber ansonsten genoss sie die Wärme des nahe stehenden Kaminofens nach all der Zeit mit hohem Fieber im eiskalten winterlichen Stall. Sie war den Hunden und Katzen gegenüber aufgeschlossen und vertrieb sich die Zeit damit, verschieden Betteltechniken zu erproben, um häufiger mit Gaben ihrer geliebten Getreidekörner versorgt zu werden. Sie erschien ganz allgemein wie ein zufriedener Kinobesucher, dem der Film gut gefällt.

Sie fühlte sich in ihrer Ecke so wohl, dass sie sie anfangs auch nach der Entfernung der Absperrung nicht verließ. Mit Futter konnte sie etwas vorgelockt werden und meisterte dabei den glatten Fliesenboden mühelos. Erst nach längerem Üben entdeckte sie aber andere Aktivitäten im Haushalt als unterhaltsam. Sie bettelte dann auch gerne am Frühstückstisch, holte sich Streicheleinheiten ab, während ich am Computer arbeitete, beobachtete von der Haustür aus die Vorgänge im Garten und brachte sich ganz allgemein mehr in das Familienleben ein. Sie wollte allerdings nicht raus ins Freie. Wir haben es mit Zwang versucht, was zwar gelang, aber das Schaf sehr aus der Fassung brachte. Schlomi war sichtbar froh, als sie wieder in ihrer Ecke war.

Zuletzt wurde sie dennoch und trotz ausgezeichneter Führung, in den Stall umgesiedelt. Dort kam sie nach einiger Zeit auch zurecht, hielt sich aber ausschließlich an ihre menschlichen Bekannten. Von den anderen Tieren wollte sie nichts wissen.

Sie war sehr liebevoll und zärtlich, ein ganz zauberhaftes Wesen. Ihr natürlicher Tod im folgenden Sommer ließ leider eine nicht zu füllende Lücke zurück.

Es lebe das Schaf! Und sei es auch im Flur.